Interview zur Arbeit

Was sind die Produkte Deiner künstlerischen Arbeit?

I. M.: Das ist natürlich eine schwierige Einstiegsfrage. Es kommen tatsächlich hier und da Kunstwerke raus. Das sind in der Regel bei mir nicht Sachen, die sich einfach so wieder abnehmen und wo anders hin transportieren lassen. Die sind meistens sehr gebunden an den Ort, wo sie sind und oft sind sie vergangen, wenn sie dort entfernt werden. Aber die Produktfrage ist für mich in der Hinsicht interessant, als dass sie auch gleichzeitig nach diesen ganzen immateriellen Dingen fragt. Da würde ich sagen, das sind auch Ergebnisse meiner künstlerischen Arbeit, aber vielleicht keine Produkte. Da zählen so Sachen mit dazu, wie sich als Künstlerin oder Kulturschaffende in gesellschaftliche Zusammenhänge einzubringen und dort zu wirken. Das ist nicht sichtbar, aber ich würde fast sagen, dass das meine Hauptaufgabe ist und sehr eng mit den Arbeiten zusammenhängt, die man sich dann anschauen kann, die objekthafte Ergebnisse sind.

Bitte kannst Du mir beschreiben, um welche Inhalte es in Deiner Arbeit geht?

I. M.: Ich beschäftige mich eigentlich immer mit politischen Themen, und das hat auch damit zu tun, wie ich mich als Künstlerin verstehe, nämlich als Handelnde in einem gesellschaftlichen Raum. Wegen meines politischen Aktivismus oder wegen meiner sexuellen Orientierung kommen Themen auf mich zu, die in meinem Leben eine große Rolle spielen und auf die ich nicht nur künstlerisch reagiere. Ich wohne in Sachsen und die politischen Verhältnisse dort beschäftigen mich als Aktivistin und auch als Linke viel. Und dadurch sind bestimmte Themen naheliegend und eine Energiequelle für meine künstlerische Arbeit.

Was ist Deine Motivation, als Künstlerin zu arbeiten?

I. M.: Das ist fast schon eine biografische Frage. Ich habe erst sehr spät angefangen, mich für Kunst zu interessieren, weil mir das aus dem familiären Kontext gar nicht bekannt war. Ich glaube, ich habe in dem Moment angefangen, mich dafür zu interessieren, als ich verstanden habe, dass dort Dinge diskutiert werden, die die Welt betreffen und die aber nicht nur in diesen Formaten Zeitungsartikel, Diskussion, Sprache verhandelt werden, sondern eben noch ganz andere Bereiche mit aufmachen. Gleichzeitig hat mich auch die Kunst interessiert, die stark gesellschaftlich angebunden ist. Und ich glaube, da liegt meine Motivation, dass es eine für mich und ich hoffe auch für andere total bereichernde Strategie ist, über Welt nachzudenken. Und das finde ich hochpolitisch und das hat ungemeines Potential. Mir reicht es als einzige Strategie nicht aus, deswegen bin ich noch anderweitig politisch aktiv. Aber die Kunst hat Methoden und Möglichkeiten, die sich gegen bestimmte, gesellschaftlich für normal befundene Logiken sperrt. Das wäre zumindest die Hoffnung, auch wenn ich da selbst skeptisch bin. Aber sagen wir so: Es ist zumindest ein Feld, in dem Regeln und Normen debattiert werden können.

Und ich will noch eine letzte Sache hinzufügen: Für mich gab es Vorbilder und Menschen, die mich unterstützt haben, Orientierungspunkte wenn man so will. Das waren eigentlich alles Frauen, die älter sind als ich, nicht zuletzt meine Professorin an der Akademie. Und heute ist das zusätzlich ein großer Kreis an Kolleg*innen und Freund*innen. All diese Menschen sind der Grund, warum ich morgens aufstehe und ins Atelier fahre.

Gibt es Werte, an denen Du Dich in Deinem künstlerischen Arbeiten orientierst?

I. M.: Ja, auf jeden Fall. Ich bin Linke durch und durch, ich könnte sagen: Anarchistin. Und das ist die Grundlage meiner Arbeit. Das sind Werte, die sehr nah am Menschen sind, ich bin ein großer Fan von der ganzen Palette menschlicher Facetten, Situationen und Bedingtheiten. Ich mag gerne dieses Wort „es menschelt“. Also ich will wissen und ich will daran arbeiten wie wir zusammenleben und vor allem habe ich die Vision, dass ein besseres Zusammenleben möglich ist. Ein besseres Leben für alle. Das ist eine fundamentale Überzeugung von mir, von der ich nicht ablasse. In der Konsequenz bedeutet das, sich gegen Diskriminierung einzusetzen. Es bedeutet, über Rassismus nachzudenken, auch bei mir selbst. Das bedeutet, Homophobie auf einer gesellschaftlichen Ebene anzugehen. Das bedeutet, gegen Kapitalismus zu kämpfen, weil das keine Gesellschaftsform und kein Wirtschaftssystem ist, in dem ein gutes Leben für alle Menschen möglich ist. Es bedeutet, Antifaschistin zu sein. In letzter Instanz ist das etwas zutiefst Menschliches, also die Liebe zur Welt, würde ich sagen. Das ist für mich ein echter Wert und ich sehe, dass um mich herum viele Leute sind, die das auch in sich tragen. Wie auch immer die das dann formulieren würden. Und da sammeln sich auch einige in der Kunst und mit denen zusammen streite ich dafür, dass all das eine Chance hat in dieser Welt.

Spielen Effektivität und Effizienz eine Rolle in Deinem Denken, und was würde zu effizientem künstlerischen Arbeiten für Dich dazugehören?

I. M.: Leider spielt Effizienz eine Rolle. Das hat bestimmt auch mit meiner Persönlichkeit zu tun oder damit, was ich von den Arbeitsbedingungen her alles jonglieren muss, also momentan drei Jobs, diverse soziale Kontakte, eine Fernbeziehung und alles, was noch dazu kommt an Leben. Deswegen sehe ich mich gezwungen, effizient zu arbeiten und meine Zeit richtig gut einzuteilen und effizient zu sein in der Zeit, die da ist. Leider gibt es ja auch oft Deadlines, das heißt, die Ausstellung wird eröffnet, das Buch muss raus, der Drucktermin ist, an der Stelle ist auch Effizienz gefragt. Ich würde aber auch sagen, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten einen ständigen Kampf gegen diese Effektivität führe. Vorher habe ich von den poetischen Anteilen gesprochen, die sich meiner Ansicht nach nicht in so einer Logik bearbeiten lassen und die fallen schlicht raus, wenn der Terminkalender am Tag alle zwei Stunden einen anderen Block mit einem anderen Kontext hat.

Effektivität ist für mich etwas echt Schlimmes, die viel zu tun hat mit der Art und Weise, wie gewirtschaftet wird, wie gelebt wird, was Zeit für eine Ressource ist. Deswegen würde ich ihr gerne jeden Tag den Kampf ansagen. Ich weiß nicht, wie erfolgreich ich da bin. Mir hilft da auch ganz praktisch im Alltag, dass es zum Beispiel einen Tag fürs Atelier gibt und dass ich mir so viel Mühe gebe wie möglich, dass ich nicht vorher festgelegt habe, was an diesem Tag im Atelier dann passiert. Das ist eine Hilfe, nicht effektiv zu sein.

Was ist die Leistung, die Du mit Deiner Arbeit anbietest? Das beinhaltet zwei Fragen: Was ist Deine Leistung, was bringst Du mit Deiner künstlerischen Arbeit ein? Und was leistet die Arbeit dann in der Gesellschaft?

I. M.: Da müsste ich erstmal über dieses Leistungshindernis springen, um die Frage beantworten zu können. Tatsächlich ist es eine Kategorie, in der ich ungern spreche und überlege, weil die Annahme mitschwingt, dass eben auch jeder und jede leisten soll. Das sehe ich fundamental nicht so. Ich sehe es nicht so, dass jeder Mensch einen Beitrag zur Gesellschaft leisten muss oder soll. Ich denke, das macht einfach jede und jeder durch die pure Präsenz schon. Auch im Sinne von Lohnarbeit denke ich das nicht. Ich denke nicht, dass jeder Mensch einer Lohnarbeit nachgehen muss. Ich denke, auch Menschen, die das nicht können oder nicht wollen, haben ihre guten Gründe und sind trotzdem ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft.

Aber anders herum: Wenn ich über Leistung nachdenke in dem Sinn, was mein Beitrag zur Gesellschaft ist, da hoffe ich, dass ich über meine Arbeit Räume aufmache, die einen Beitrag leisten zu der Überlegung, wie ein besseres Leben für alle möglich ist. Darin sehe ich meine „Leistung“, in Anführungszeichen gesprochen, dass ich Beiträge zur gesellschaftlichen Diskussion und Reflektion über Welt im Allgemeinen bringe. Ganz konkret äußert sich das darin, dass ich Veranstaltungen organisiere, da kommen Leute hin, oder ich stelle etwas aus, das sehen Leute. Manchmal lade ich Leute ein, irgendwo zu sprechen, manchmal mache ich eine Zeitung, die dann verfügbar ist oder ein Audiostück, das sich Leute anhören können. Oder ich gehe ins Gespräch mit Menschen. In meinem politischen Aktivismus könnte ich da jetzt noch andere Formen anschließen. Zurzeit gebe ich zusammen mit einer Kollegin ein Seminar und versuche, mit Studierenden weiterzukommen in der Überlegung, an welchem Ort sie da studieren, was die Geschichte dieses Ortes ist. Das sind alles meine Beiträge.

Welche Deiner Fähigkeiten kommen da besonders zum Tragen?

I. M.: Vielleicht was ich gelernt habe von anderen Leuten und in Gruppen. Diese gesellschaftlichen Zusammenhänge überhaupt zu sehen und zu erkennen und dann das Gefühl zu haben, dass man als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft darin agieren kann. Das ist ja auch nicht jeder Person vergönnt. Und ich fühle das aber, dass ich das kann, dass ich da auch Instrumente in der Hand habe. Und das sind dann ganz konkrete Skills. Manche Sachen lernt man auf der Kunstakademie, wie Photoshop benutzen, um Flyer zu machen oder sich eine Website zu bauen. Oder auch andere, die ich in politischen Zusammenhängen gelernt habe, wie eine Moderation machen, politische Kampagnen fahren, Organisierung, Ungerechtigkeiten sehen, aufzeigen und gegen sie kämpfen. Persönlich kann ich noch beitragen, dass ich Menschen sehr gerne mag und mit Menschen gerne ins Gespräch gehe. Das würde ich als eine kleine Fähigkeit bezeichnen, die ich von meiner Persönlichkeit her mitbringe.

Ich bin bildende Künstlerin und keine Wissenschaftlerin, ein stückweit habe ich mich darauf eingelassen, dass ich am Ende in einer Ausstellung oder einem anderen Format präsent bin. Dann ist das manchmal eine richtig schwierige Sache, wie sich die ganzen Informationen in irgendeine Richtung weitertragen lassen, so dass das Format sich noch einmal geistig öffnet. Über dieses Hindernis schaffe ich es nur drüber, wenn ich mich auch nochmal sehr formal den Sachen widme. Also manchmal gibt es ein Bild, bei dem ein ganz bestimmtes Detail der Knackpunkt ist. Manchmal gibt es ein Material, zum Beispiel diese Haare, die mich damals fasziniert haben. Und dann gibt es eine Synthese, dass ich eine neue Form finde, die sich irgendwie ins Verhältnis setzt. Was ich am Ende zeige, ist wie ein Verbindungslink zwischen mir, der Betrachter*in und der Welt, also dem gesellschaftlichen Umfeld und die Arbeit ist wie ein Kristallisationspunkt. Das ist ein zeitintensiver langer Prozess, die Form zu finden.

Welche Qualitätskriterien hast Du für Deine Arbeit? Was muss erfüllt sein, damit Du eine Arbeit gut gelungen findest?

I. M.: Ich halte eine Arbeit für gelungen, wenn ich eine gesellschaftliche Relevanz darin sehe. Das kann aber sehr weit gefasst sein. Ich sehe auch in einer kleinen Zeichnung eine große gesellschaftliche Relevanz. Das ist jetzt nicht so, dass es thematisch angebunden sein muss. Ich halte sie für gelungen und gut, wenn ich das Gefühl habe, sie ist ein echter Beitrag zur Überlegung, was für Perspektiven von Welt es geben kann. Und es gibt natürlich so etwas, dass eine gute Form dafür gefunden werden muss. Das ist der Beruf einer Künstlerin, eine gute Form für diese gesellschaftlichen Beiträge und Reflexionsmomente zu finden.

Was ist eine gute Form? Gibt es da Kriterien?

I. M.: Für mich persönlich, aber das würde ich nicht auf alle Arbeiten anwenden, ist eine gewisse Anschlussfähigkeit wichtig, dass Menschen in irgendeiner Art und Weise eine kleine Tür für sich sehen, einzusteigen. Ein weiteres Kriterium wäre, dass es eine handwerklich gut gemachte Sache ist, dass die Form stimmt, dass es nicht eine last-minute-Lösung ist. Es ist ja mein Beruf, darüber nachzudenken, wie zeige ich etwas und welche Bilder finde ich dafür? Und dann ist es wirklich wichtig, dass das Bild sitzt. Das ist das, was auch wirklich Zeit ist, sich diese Form zu überlegen und zu erarbeiten.

Für mich habe ich gemerkt, dass eine gute Arbeit auch ein Energiespeicher ist, die weitere Arbeiten nach sich zieht. Das weiß ich in dem Moment manchmal gar nicht. Aber als ich mein Rechercheprojekt zu lesbischer Literatur in den Zwanzigern angefangen habe, dachte ich, ich mache eine Lesung und jetzt zieht sich das seit mehr als drei Jahren. Es gehen immer neue Türen auf in den Texten und an den Figuren, die ich in den Büchern kennengelernt habe. Da ergibt sich eine ganze Kette von Dingen, bei denen ich immer wieder das Gefühl habe, dass es auch Spaß macht, es mit anderen zu teilen. Das ist so ein reicher Schatz an Geschichten und Material über lieben, leben, begehren. Es ist in dem Sinne dann auch nie abgeschlossen. Das ist auch ein Qualitätsmerkmal, finde ich.

Und um auch eine Abgrenzung zu fassen, für mich sind Arbeiten nicht so interessant, die sich allein auf sich selbst beziehen. Da könnte man jetzt dieses l´art pour l´art-Thema aufmachen. Und, das ist jetzt eine steile These: Arbeiten von Leuten, die sich überhaupt nicht in Zusammenhängen begreifen, sind auch schwierig. Da könnte man anschließen mit dieser ganzen Tradition des männlichen Künstlergenies, als eine innere Haltung, mit der eine Arbeit gemacht wird. Ich finde, das sieht man einer Arbeit an, wenn sie mit so einer Haltung gemacht ist. Das halte ich für nicht interessant und auch gar nicht mehr für relevant für die Zeit, in der wir leben. Das gucke ich mir auch nicht so gerne an, weil ich das uninteressant finde. Mir geht es vielleicht um so etwas wie Dialog, dass die Arbeit in Dialog gehen kann mit der Betrachter*in, mit der Welt und der Künstler*in.

Hast Du Ziele mit Deiner künstlerischen Arbeit?

I. M.: Ich habe so ganz einfache kleine Ziele. Ich möchte technisch besser werden, mich besser mit manchen technischen Tools auskennen.

Ich möchte dahin, wo ich schon mal war, nämlich mehr mit Leuten zusammenzuarbeiten. Ein paar kollektive Arbeitskontexte sind für mich in letzter Zeit weggebrochen. Ich möchte langfristig nicht als Einzelkünstlerin einfach nur so meinen Weg machen.

Und dann gibt es natürlich inhaltliche Ziele, ich möchte politisch mitmischen, ich möchte auch etwas erreichen und dafür möchte ich die guten Stellen finden. Ob ich dafür an einer Ausstellung teilnehmen muss oder an einer Diskussion, oder ob ich dafür an einer Kunstuniversität ein Seminar gebe, das ist fast schon zweitrangig. Aber ich will mitsprechen wie sich diese Welt weiterentwickelt und ich möchte mich auch echt einmischen! Weil ich keine Lust habe, dass es weitergeht, wie es jetzt läuft und da habe ich auch eine gewisse kämpferische Haltung. Ich will echt ein besseres Leben für alle. Und ich glaube, es ist jetzt nicht allzuweit aus dem Fenster gelehnt, wenn ich meine künstlerische Arbeit als kleinen Beitrag zu diesem Kampf verstehe. Das ist ein Ziel. Und gut mit anderen Leuten in Verbindung zu bleiben, um zu sehen, was wollen die anderen, wie kann es aussehen, was sind die Bedürfnisse für alle? Wie lässt sich das realisieren? Das ist ein echtes Ziel.

Zum Abschluss noch eine Frage, die über Deine künstlerische Arbeit hinausgeht. Wenn Du von heute aus auf die Kunst der Zukunft schaust, wie werden Kunst und künstlerisches Arbeiten sich in den nächsten Jahrzehnten verändern?

I. M.: Da fehlt mir die Glaskugel! Aber ich habe natürlich ein paar Hoffnungen. Zum Beispiel, dass sich das immense Missverhältnis, wer überhaupt spricht und gehört wird, ändern wird. Wo sind die Professorinnen of Colour an den Kunstakademien? Wer macht die Ausstellungen und wer schreibt die Kritiken?

Ich denke aber auch, dass wir gezwungen sein werden, die Freiheit der Kunst und progressive Kultur gegen rechte Angriffe zu verteidigen. Damit fangen wir am besten lieber gleich an. In Polen und Ungarn sind diese Angriffe in den letzten Jahren immens gewesen, in Russland scheint sich Zensur und Repression zum Normalzustand ausgeweitet zu haben. Das dürfen wir niemals tolerieren. Und persönlich hoffe ich natürlich auch, dass Kunst politisch und relevant bleibt. Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir brauchen echte Visionen.

 

erschienen in: Gabriele Lucie Freudenreich, working on art – Interviews mit Künstlerinnen, Hrsg. Künstlergut Prösitz e.V., 2020 Wien/ Prösitz