8.3.2019

NO MORE DEVOTION

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No more devotion – heraus zum Künstlerinnen*streik

https://www.lbk-sachsen.de/news/kuenstlerinnen-streikt-aka-no-more-devotion

Liebe Kolleginnen_, liebe Freund_innen!
Wir sind Rosa, Theresa, Lilli, Antje, Irène und Franziska. Wir sind CindyCat. Wir alle sind Künstlerinnen und Kulturschaffende. Wir machen konzeptbasierte, politisch engagierte, langfristig angelegte, am Prozess orientierte, wenig objektfokussierte und von Residenzen und Projektförderungen abhängige Kulturarbeit. Diese Arbeit findet unter sehr prekären Umständen statt.

Denn auch und gerade weil wir mit Überzeugung und Liebe Kunst machen, bedeutet das viel, ja dreifach zu arbeiten: Wir sind nicht nur Künstlerinnen sondern verrichten auch Hausarbeit, die zum täglichen Leben dazugehört. Beiden gemein ist, dass sie schlecht oder gar nicht bezahlt sind. In beiden Fällen wird vielfach davon ausgegangen, dass wir diese Arbeiten so gerne tun, dass eine Bezahlung gar nicht nötig ist. Und weil wir nicht oder nur wenig bezahlt werden, brauchen wir zusätzlich noch eine Lohnarbeit. Das heißt, wir arbeiten in drei Schichten: Kulturarbeit, Hausarbeit und Lohnarbeit.

Alle drei Formen unserer Arbeit finden unter genau den patriarchalen Bedingungen statt, die auch die meisten anderen gesellschaftlichen Bereiche durchziehen. Weil es in der Kunst viel um Netzwerke, um symbolische und repräsentative Macht geht, behindern uns Seilschaften weißer Männer in spezifischer Weise: Sie beziehen sich aufeinander, laden ihre Buddies für Ausstellungen ein und schreiben Bücher über andere weiße Männer. Da langweilt sich sogar die Haut auf unserem Kakao. Auffällig ist außerdem, dass die unbezahlte, emotionale Arbeit uns sowohl in unserer Sozialisation als Frauen als auch als Künstlerinnen quasi in die Wiege gelegt scheint. Leidenschaftlich sagen wir: ES REICHT.

WIR NEHMEN NICHT LÄNGER HIN, dass …

… wir – zu Selbstständigen gemacht – alle Verantwortung für unsere unterbezahlten und überlastenden Arbeitsverhältnisse allein tragen müssen.
… unsere Arbeit in Form ständig neuer Projekte und nie endender Bewerbungsverfahren wiederholter Abwertung ausgesetzt ist.
… jeder Projektantrag, jede Bewerbung, jeder open call eine finanzielle, personelle und zeitliche Vorleistung unter Unsicherheit bedeutet.
… Künstlerin* sein eine Klassenfrage ist, weil (1) Menschen aus nicht-akademischen Haushalten es meist gar nicht erst an Kunst- und Musikhochschulen schaffen, (2) wenn doch, ohne finanzielle Rücklagen die Risiken dieses Berufs nicht eingehen können und (3) die Frage, was überhaupt als Kunst gilt, weiterhin bürgerlichen Idealen folgt.
… der Kulturbetrieb in vielen Fällen immer noch eine Veranstaltung weißer Männer ist.
… unsere Kolleginnen of Colour sich immer und immer wieder mit rassistischen Strukturen, die auch den Kulturbetrieb durchziehen, konfrontieren müssen.
… sich feministische Themen und Anliegen durch große Ausstellungshäuser thematisch zwar angeeignet werden, dabei aber nichts an den Strukturen/Produktionsverhältnissen geändert wird. Wir nennen das fem-washing und lehnen es ab, obwohl eine solche Waschung in klassischen Konzertsälen leider schon ein Fortschritt wäre.
… Künstlerinnen* verschiedener Sparten in Deutschland im Schnitt um die 30% weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Diese Zahl hat sich von 2010 auf 2014 tendenziell verschlechtert. 1
… Frauen als Musen und Männer als Malerfürsten verstanden werden. Frauen wird – zumindest in unseren Breitengraden – eher die Fähigkeiten der Interpretation, weniger der Komposition zugesprochen.
… wir nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Leben, unsere Persönlichkeit und unsere Leidenschaft feil bieten müssen, um als “echte” Künstlerin zu gelten. Eine “spannende” Biographie, ein inszenierter Körper, ein “privater” Besuch im Atelier – das alles ist Teil davon.
… der Mythos “Künstler-Genie” auch 2019 noch den alltäglichen Sexismus in unsrer Branche legitimiert. Jede von uns erinnert zu viele Situationen, in denen der Prof, der Kritiker, usw. einen Seitenkommentar hat fallen lassen – gerne auch betrunken.

Es ist so klar wie die gläserne Decke: Die Geschichte der unbegrenzten Freiheit von uns Selbstständigen ist ein Märchen. “Freiheit” ist ein grenzenloser Euphemismus für projektförmiges, unsicheres, kaum nachhaltiges und individualisiertes Arbeiten. Wir weigern uns, es weiter zu erzählen und überhaupt daran zu glauben. Deswegen rufen wir auf zum Streik. Wir wollen nicht weiter als Einzelkämpferinnen* mit unseren Arbeitsbedingungen kämpfen. Wir werden uns nicht länger zu Konkurrentinnen* machen lassen, denn die einzige Antwort auf die selbstständige Vereinzelung im Kulturbetrieb ist die Solidarität!

WIR STREIKEN

Wir bestreiken die Geschichte der Eigenverantwortung von Freiberuflichkeit und liefern uns nicht weiter alleine dem Betrieb aus.
Wir werden den Problemen und der Prekarität gemeinsam und solidarisch entgegentreten.
Wir schaffen Bewusstsein bei denen, die Kunst und Kultur genießen und oft gar nicht um die Bedingungen wissen, unter denen sie entsteht.
Wir sorgen für Transparenz, indem wir mit unseren Kolleginnen über die konkreten Bedingungen, die Bezahlung, Prekarität und Armut sprechen.
Wir arbeiten hin auf eine Teilung der Zeit, die es jedem Menschen erlaubt, schöpferisch tätig zu sein.
Wir streben nach einer Kunst die verstören darf, die Fragen stellt, die komplex ist und nicht zwangsläufig der Unterhaltung, der Zerstreuung und der geistigen Reproduktion erschöpfter, ausgelaugter Subjekte zu dienen hat.

cindycat@riseup.net

dd.fau.org/branchen/kunst-kultur

8.3.2019

NO MORE DEVOTION

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No more devotion – heraus zum Künstlerinnen*streik

https://www.lbk-sachsen.de/news/kuenstlerinnen-streikt-aka-no-more-devotion

Dear colleagues,
We are Rosa, Theresa, Lilli, Antje, Irène and Franziska. We are CindyCat. We are all artists and people engaged in the cultural sector. We do work that is conceptual, politically engaged, endurable, process-oriented, not focusing on objects. This work is done under very precarious conditions dependent on residencies and funding. Since we are producing art with conviction and with love, it means to work triple: We are not only artists, but we also do domestic work and that which is part of everyday life; both have in common that they are not or poorly paid.
In both cases, there is a tendency to think that we like to do this kind of work so much that being paid for it is not necessary. Since we are not or poorly paid, we need a job to survive, this is in addition to the creative and domestic labour. Therefore, this leads to the fact that we are working in three shifts: cultural work, domestic work, and wage work. All three forms of our work happen under the patriarchal conditions that also affects all other spheres of society.
Since art is a lot about networking, about symbolical and representative power, the insider deals/rope teams of white men hinder us in specific ways: They refer to each other, invite their buddies for exhibitions, and write books about other white men. This is extremely boring. It is also striking that the unpaid emotional labour plays a role in our socialisation as women as much as it does in our artists‘ careers. We passionately state: It’s enough.

We will not accept any longer, that:
… we – being pushed to be freelancers – have to carry all the responsibility for our badly-paid and overburdening labour relations ourselves.
… our work, meaning the never-ending projects and application procedures faces degradation repeatedly.
… every project proposal, every application, every open call means a lot of money and time spent on a completely unsure cause.
… being an artist is a matter of class, because 1) in many cases people from non-academic households don’t even make it to art and music academies 2) if they make it, they cannot take the risks of this profession without any savings and 3) the question about what is art still follows bourgeois ideals.
… the making culture is in many cases still the sphere of white men.
… our colleagues of colour have to face the racist structures of culture over and over again.
… feminist issues and concerns are appropriated by big institutions, but without changing the structures, and/or relations of production. We call this fem-washing and we refuse it, even if such an approach would, unfortunately, be already a progress in classical concert halls.
… female* artists of different sections in Germany earn in average 30% less than their male colleagues. Furthermore, this number deteriorated between 2010 and 2014. (1)
… women are seen as muses and men as genious painters. It is more the skill of interpretation rather than composition that is attributed to women.
… we have to offer not only our work but also our lives, personalities and our passion to be taken seriously as „real“ artists. An „exciting“ biography, a stage-managed body, an „informal“ studio visit – all this is part of it.
… the myth of the „genius artist“ still legitimises the commonplace sexism in our work field. Each of us reminds many situations, in which our professor, the critic or others dropped a comment on the side – maybe even half-drunk.

It is as transparent as the glass ceiling: The narration of unlimited freedom of freelancers is a fairytale. „Freedom“ is an euphemism for project-shaped, insecure, rarely sustainable, and individualised work. We refuse to tell it any longer or to believe it. This is why we call for a strike. We do not want to fight as lone fighters against our own working conditions. We will no longer accept to be pushed in a situation of concurrence one against another. The only answer to the freelancer/separation in the field of culture is solidarity!

We STRIKE!
We strike against the narration of personal responsibility of freelancers and we do not deliver ourselves entirely alone to the business.
We will face the problems and the precarity together in solidarity.
We will raise consciousness of those who enjoy art and culture, who in most caes, do not realise the conditions under which we work.
We will arrange for transparency by talking to our colleagues about the conditions, the salary, precarity, and poverty.
We aim at a division of time that allows everyone to dedicate time to creativity.
We strive for an art that can disturb, raise questions that are complex and not necessarily an art that is used to entertain, disperse, and intellectually reproduce depleted subjects.

cindycat@riseup.net

dd.fau.org/branchen/kunst-kultur