Irène Mélix

(geb.1988, Studium der Kulturwissenschaften, dann Bildende Kunst an der HfBK Dresden, Klasse Grossarth)

Irène Mélix beschreibt sich als politisch und künstlerisch handelnd. In ihrer künstlerischen Arbeit vereint sie nicht nur unterschiedliche Medien – Zeichnung, Siebdruck, Linolschnitt, Installation, Text, Sound, Video – sondern überwindet die Grenzen zwischen ihren gesellschaftlichen Positionen und begibt sich dorthin, wo ihre Arbeiten alles sein können; sowohl künstlerisch als auch aktivistisch. Ihr Selbstverständnis als Linke, als Feministin und als Akteurin im politischen Feld ist für ihre Arbeit ebenso auschlaggebend, wie ihre Rolle als künstlerisch Suchende, Findende, als Antwortende und Formgebende. In ihrer Arbeit reagiert Irène Mélix niemals nur als Künstlerin auf die Fragen, die sie beschäftigen und die sich aus ihrer Position als Handelnde in einer oder mehr Gesellschaft(en) ergeben, sondern eben auch aus ihrer politischen Motivation heraus.
Für Mélix ist die künstlerische Arbeit oftmals ein Prozess, der nicht zwangsläufig ein Ende findet und der sich – in manchen Fällen auch nur ein Mal – an einem für die Arbeit vorgesehenen Ort zeigt. Die ortspezifische Arbeit behaarte Wand (2017) muss an jedem Ort ihres Erscheinens neu auf die Geschichte desselben eingehen und sich neu formieren. Während sie an einer Stelle Geschichte überwuchert, wird sie an anderer aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen wieder abrasiert. In der Arbeit ARIA FERMATA, die auf der Lyon-Biennale 2019 gezeigt wurde, nimmt Mélix in Form einer Videoarbeit Bezug auf den Ausstellungsort. In einem alten Fabrikgebäude werden Betrachter*innen mit der Vergangenheit des Gebäudes konfrontiert. Beispielhaft ist auch die Arbeit Grenzarbeit (2018), für die die Künstlerin an einem ausgewählten Ort (Usti nad Labem) ein Museum für Grenzüberwindung aufbaute und in der unter anderem die Geschichte antifaschistischer Bergsteiger*innen, in Recherchematerial eingeschrieben, gezeigt wurde. Die (Lebens-)Geschichten von Frauen* sind ebenso wiederkehrende Inhalte in der Arbeit der Künstlerin wie Grenzen und die Infragestellung dieser. Das gilt für physische Grenzen (z.B. mit der Videoarbeit fighting the wall (2016)) ebenso wie für geografische. So lag beispielsweise die die Zeitung Grenzgängerin von 2016 im selben Jahr im Kunst-Zug zwischen Dresden und Wroclaw aus und stellte das Konzept von (Länder)Grenzen ebenso in Frage wie sie das Überwinden eben dieser zum Thema machte.

Rechercheprozesse bilden den Ausgangspunkt zahlreicher Arbeiten von Irène Mélix – wobei es der Künstlerin dabei nicht um die Erfassung einer historischen Wahrheit geht. Vielmehr werden gefühlvoll Geschichten, die sich im Verborgenen befinden, offengelegt und verloren geglaubte Stimmen hörbar gemacht. Sie bilden die Basis der Arbeiten, die sich den für sie passenden, eigenen Raum suchen und nach ihrem Auftreten wieder im Schatten verschwinden.
Die Arbeiten die sich unter dem Titel lila Nächte zusammenfinden gehen auf eine mehrjährige Recherche zurück, in der sich die Künstlerin mit der Geschichte und Gesellschaftsgeschichte lesbischer Frauen* befasst. Diese künstlerische Recherchearbeit wirft immer wieder neue Fragen auf und setzt sich deshalb immer wieder in neue Richtungen fort. Die Geschichten dieser Frauen*, die zu Personen in den künstlerischen Arbeiten werden, artikulieren sich beispielweise in Romanen aus dem Berlin der 1920er Jahre oder in Kontaktanzeigen, die sich von Frauen* an Frauen* richten. In diesen wird nicht nur der Mut unterstrichen, den es braucht um Begehren und die Suche nach Liebe zu äußern, sondern sie geben auch Auskunft über die Frauen* und ihre ökonomischen, sozialen und emotionalen Lebenssituationen. Diesen Geschichten und Lebensgeschichten leiht Mélix ihre Stimme, nimmt ihre Posen ein und sucht nach Wegen, Geschichte wieder aufleben zu lassen wie etwa in der Arbeit Diamantsplitter (2018).

Irène Mélix‘ politische und künstlerische Anliegen zeigen sich nicht nur in ihren Arbeiten selbst, sondern auch in ihrer Arbeitsweise. Als immer wieder im Kollektiv Handelnde setzt sie auf Formen der Zusammenarbeit und schafft so Sichtbarkeit – nicht nur für sich als Künstlerin, sondern auch für andere Akteur*innen im künstlerischen und politischen Feld.

Text: Vincent Schier