Irène Mélix
behaarte Wand
Kunsthaar/Wand
(2017)
_____UM WAS GEHTS? [einfach gesagt] Dieses Werk heißt behaarte Wand. Die Geschichte dieser Wand im Gebäude der Kunsthochschule in Dresden ist besonders: Während der Nazi-Zeit war hier eine Wandbemalung, die nach dem Krieg einfach überstrichen wurde. Sie ist also noch in der Wand. Irène Mélix hat kurze, künstliche Haare auf die Wand gesprüht. So ist ein riesiger Fleck entstanden. Er deutet darauf hin, dass die Wand wie eine Haut ist, dass sie Geschichte in ihren Schichten trägt und dass die Geschichte nicht einfach vorbei ist, sondern Auswirkungen auf die Gegenwart hat._____
Wände sind der vermeintlich neutrale Träger, auf dem Kunst oft ausgestellt wird. Die Wand ist damit Gegenstand meiner (Ab-)Arbeitung als Künstlerin. Die Wand ist aber auch räumlich gesprochen ein Phänomen der Abgrenzung. Innen und Außen treffen an der Wand zusammen. Die Wand ist Mauer, die Wand ist Ausschluss, gleichzeitig aber Schutz und Möglichkeit. Als gesellschaftliches Abgrenzungsphänomen ist die Wand auch ein Symbol für die Grenze, den Ausschluss, nationale Grenzen und (Identitäts-) Konzepte, die in starren Kategorien verhaftet bleiben.
Auf verschiedene Weisen habe ich mich in den letzten Jahren der Wand angenommen. Ich habe sie tapeziert mit den Geräuschtapeten für Tiefenenttrümmerungen, ich habe sie bei der STREIK Konferenz mit einer Knüppelfahne angegeriffen. Ich habe gegen sie geboxt. Bei Rauch der durch Wände geht habe ich im team2 gefragt, wie die Wand ihr hybrides Potenzial entwickeln kann, in dem sie zwar Wand ist, aber durchlässig für Rauch. Wie und wo kann sich ein Milieu bilden, ein emanzipatorischer Moment entstehen, der es schafft, die (gesellschaftliche) Wand zu durchbrechen?
Zu guter Letzt ist es in meiner Diplomarbeit (2017) jetzt die Wand selbst, die ihr Potenzial entfaltet. Sie wird Körper, es wachsen ihr Haare. Mit elektrostatischer Beflockungstechnik behaarte ich die Wand mit 6mm langem, synthetischem Haar.
Haare haben nicht nur eine isolierende und wärmende Wirkung, sie sind auch Nervenenden am Außen des Körpers. Sie gehen auf Fühlung. Sie bewegen sich, wenn sie angepustet werden, sie verändern die Oberfläche. Sie sind weich und können gestreichelt werden. Kurze Haare sind aber auch störrisch, sie wachsen immer wieder nach. Haare sind Teil gesellschaftlicher Normierungen, an manchen Körperstellen sind sie unbedingt erwünscht, an manchen Körperstellen notorisch beseitigt. Aus feministischer Perspektive bedroht unkontrollierter Haarwuchs die soziale Ordnung.
Die Geschichte der Wand, an der meine Diplomarbeit gezeigt wurde ist lang und komplex. Die 251jährige Wand des Akademiegebäudes weist vielfach geschichtete Farbe auf. Vergleichbar mit Hautschichten liegen hier mehrere historische Schichten übereinander. So kamen zum Beispiel in den 90er Jahren die noch erhaltenen Hakenkreuze der nationalsozialistischen Wanddekoration wieder zum Vorschein. Sie sind auch jetzt noch dort, versteckt unter weiteren, zeitgenössischeren Farbschichten. Können Wände altern?