I wish we could do a drag show in broad daylight
2023, Irène Mélix in Zusammenarbeit mit queerANarchive, Split, Kroatien
(Text: Tonči Kranjčević Batalić)
Die künstlerische Tätigkeit von Irène Mélix ist von Natur aus archivarisch. Sie erforscht versteckte Archive, sammelt Geschichten, die selten gehört werden, betritt das Reich des alternativen Wissens und der alternativen Erinnerungen. Ihre Arbeit korrigiert somit die Auslassungen der offiziellen Geschichte und wird politisch. Wenn wir uns auf Derrida berufen, der schrieb, dass es „keine politische Macht ohne die Kontrolle der Archive, wenn nicht des Gedächtnisses“ gibt, dann ist jeder Eingriff in die Archive ein Eingriff in die politischen Machtpositionen.
Der Bereich der Erinnerung und des Archivs, der Irène Mélix interessiert, ist der der queeren Community. Die Künstlerin stellt die Frage, wie wir auf der Grundlage der spärlichen Spuren, die wir haben, über queere Vergangenheiten sprechen können, wie wir unsere eigene Geschichte schreiben können, wie wir unsere eigene Existenz in Abwesenheit ihrer Sichtbarkeit aufzeichnen können? Und nicht zuletzt: Wie kann man auf der Grundlage einer fragmentierten Geschichte über queere Zukünfte nachdenken? Auf der Suche nach Antworten geht die Künstlerin in die Archive und arbeitet mit der lokalen Community zusammen. Zur Recherche kam die Künstlerin im Mai 2023 das erste Mal nach Split in Kroatien.
In den Archiven der Universitätsbibliothek in Split fand sie alte Zeitschriften mit Kontaktanzeigen und bereicherte so ihrer reichen Sammlung von „lonely hearts“ aus der ganzen Welt. Die Künstlerin übersetzt die gesammelten Anzeigen in Kunstwerke. In Zusammenarbeit mit der lokalen Community, die Antworten auf einzelne Anzeigen gab, aber auch an der Schaffung einzelner Werke beteiligt war, schafft die Künstlerin eine Zusammenarbeit in der Wissensproduktion. Die Künstlerin überträgt Anzeigen aus Zeitschriften mit Siebdrucktechnik auf Textilien, die Antworten werden gestickt. Eine Reihe von Interviews, die die Künstlerin während ihres Aufenthalts in Split geführt hat und durch die sie etwas über queere Leben und Räume in der Stadt erfährt, bilden die Grundlage für die Videoarbeit und das Fanzine „It’s a queer takeover of the city, but only for 15 minutes“ sowie eine Serie von Zeichnungen „Mapping queer Split“. Ein Zitat wird zu einer leuchtenden Neonröhre – „I wish we could do a drag show in broad daylight“. Durch diese Arbeiten schafft die Künstlerin eine Karte der lebendigen, wenn auch nicht sehr öffentlichen, queeren Gemeinschaften in Split und wendet sich den Fragen zu, wo sich Menschen treffen, wie sie einander finden, welche Orte für sie wichtig sind, sowohl heute als auch in der Vergangenheit.
Zusätzlich zu ihrer Arbeit an der Schaffung alternativer Archive und der Kartierung von alternativen Erinnerungen eröffnet die Künstlerin einen Dialog mit Institutionen, die traditionell die Aufgabe haben, das kulturelle Gedächtnis zu bewahren. So gesellt sich zu den oben genannten Werken ein weiteres Werk „ONA“, Acryl auf Leinwand, das auf der Grundlage der Rubrik der Zeitschrift Erotika entstanden ist, in der die Künstlerin eine Reihe von lesbischen und queeren Anzeigen fand. Für die Dauer der Ausstellung, die in der Galerie des Klub Kocka im Jugendzentrum Split als eine Art Satellitenausstellung eingerichtet ist, wird das Werk Teil der Dauerausstellung der Kunstgalerie Split sein.
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Kurator: Tonči Kranjčević Batalić (queeerANarchive)
Geber: Ministarstvo kulture i medija Republike Hrvatske, Grad Split, Zaklada Kultura nova, Institut für Auslandsbeziehungen, Culture Moves Europe – Goethe Institut – Europäische Union
Partner: Platforma Doma mladih, Koalicija udruga mladih, Multimedijalni kulturni centar, Galerija umjetnina, Split
Dank an: Culture Hub Croatia, Sveučilišna knjižnica u Splitu
Besonderen Dank an:
Emanuel, Olga, Nikolina, Tonči, einem Freiwilligen des LGBT-Zentrums Split, ZM, und all jenen, die lieber anonym bleiben möchten, dafür, dass sie mir ihre Geschichten erzählt haben.
Danke an Igor, Jastreb, Mirta, Notes on, Olga und Tihana für die Hilfe bei der Produktion des Videos und des Zines.
Danke an Split Pride, den Embroidery Club – Ćakula i vez, das LGBT centar Split und Klub Kocka.
Danke an Juri, Elsa and Lilli für euren support.